Alle die sich mit Yoga schon mal beschäftigt haben, wissen, dass Yoga verbindet. Wortwörtlich sogar, denn Yoga verbindet Körper und Geist. Dass Yoga die physische und psychische Gesundheit fördert ist allgemein bekannt. Doch Traumasensibles Yoga richtet den Fokus auf Menschen mit psychischen Erkrankungen und deren körperlichen Folgen. In diesem Beitrag erfährst du was dahinter steckt.
„Trauma“ - aus dem lateinischen übersetzt bedeutet Wunde. Im Traumasensiblen Yoga richten wir unseren Fokus auf die Traumata auf der psychischen Ebene und ihre Auswirkungen. Ein Trauma entsteht dann, wenn eine Stresssituation unsere Copingstrategien (Bewältigungsstrategien) übersteigt. Wird diese Situation auch im Anschluss nicht richtig aufgearbeitet, können sich diese Traumata auf körperlicher Ebene manifestieren und können zusätzlich Einfluss auf unser Nervensystem haben. Von einer abgeschwächten Wahrnehmung in einzelnen Bereichen im Körper, durch Trigger ausgelöste körperliche Symptome, bis hin zu pathologischen Mustern wie Angststörungen, Schlafstörungen oder PTBS (Post traumatische Belastungsstörung) können mögliche Folgen sein.
Traumasensibles Yoga beruht auf der „Polyvagaltheorie“ nach Steven Porges. Die bisherige Lehrmeinung besagt, dass unser vegetatives Nervensystem nur 2 Reaktionsmuster kennt, den Sympathikus (Anspannung), sowie Parasympathikus (Entspannung). Porges ist davon überzeugt, dass der Parasympathikus zweigeteilt ist in einen dorsalen und ventralen Vagus, die ganz unterschiedlichen Funktionen erfüllen.
Hier eine kleine Übersicht über Aufgaben der jeweiligen Teile des vegetativen Nervensystems:
Der Sympathikus, der bei Bedrohung unseres Lebens aktiviert wird. Auch bekannt als „Fight or Flight“ - Modus, dient zur „Überwindung“ oder „Flucht“ aus einer bedrohlichen Situation. Durch diese Reaktion werden im Körper vermehrt Cortisol und Adrenalin freigesetzt, die zusätzliche Kräfte freisetzt. Dieser Zustand der „Mobilisierung durch Angst“ tritt auf, wenn wir unsicher sind oder uns nicht sicher fühlen. Damit verbundene Emotionen können Angst oder Zorn sein. Bei einer Überstimulierung des Sympathikus kann es zu gesundheitlichen Problemen aufgrund der erhöhten Freisetzung von Adrenalin und Cortisol kommen.
Der ventrale (vordere) Vagus Ast ist für das System der zwischenmenschlichen Kommunikation und für den Kontakt zuständig. Es hat generell eine beruhigende Wirkung, fördert die Erholung und drückt sich in sozialer Zugewandtheit aus. Emotionen von Freude, Zufriedenheit und Liebe können wahrgenommen werden. Es fördert die Zusammenarbeit mit Anderen und steigerte (evolutionär) gesehen die Überlebenschance – wir beginnen miteinander zu spielen, zu singen, zu tanzen und Projekte gemeinsam abzuschließen.
Der dorsale (hintere) Vagus Ast: Dieser Teil des Nervensystems wird aktiviert, wenn die Gefahr zu groß erscheint, um weder fliehen noch sie im Kampf besiegen zu können – es kommt zu einer Erstarrung, wie wir sie aus der Tierwelt kennen, indem, die Antilope bereits im Maul des Löwen befindend und versucht, dass der Löwe das Interesse verliert, in dem sie sich tot stellt. Dieser Zustand kann als „Immobilisierung durch Angst“ beschrieben werden. Gefühle dieses Zustandes können Apathie, Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit und sozialer Rückzug sein. Körperliche Symptome in Akutsituationen können Dissoziative Zustände, Synkopen (kurzfristiger Kreislaufkollaps), Tonusverlust oder Blutdruckabfall sein.
Neben der Aktivierung der 3 Nervenbahnen des autonomen Nervensystems, gibt es noch 2 Hybridkreisläufe, und zwar:
„Mobilisierung ohne Angst“: oder freundschaftlicher Wettbewerb. Eine Kombination aus dem Sympathikus und des ventralen Vagus Nerven. Die Aktivierung des sympathischen Stranges fördert die Leistungsfähigkeit und die Aktivierung des ventralen Nervenstranges fördert Kontakt und Kommunikation, was uns den Teamsport und gleichzeitig ein Verlieren ermöglicht.
„Immobilisierung ohne Angst“: In diesem Zustand sind die Gefühle von Ruhe und Vertrauen präsent, die es ermöglichen mit einem geliebten Menschen zu kuscheln. Eine Kombination aus dem vorderen und des hinteren Vagus Astes ist hier aktiv.
So viel zur Theorie, doch wie sieht die gelebte Praxis aus?
Was unterscheidet nun Traumasensibles Yoga von einer gewöhnlichen Yogastunde?
Der Aufbau einer Traumasensiblen Yogastunde kann sich mitunter wenig bis gar nicht von einer gewöhnlichen Yogastunde unterscheiden. Atemübungen, verschiedene Asanas (Positionen) und abschließend eine Endentspannung und Meditation. Auch, wenn „gewöhnliche Yogastunden“ schon eine Wirkung auf das zentrale Nervensystem haben, so wird, sich dieser im Traumasensiblen Yoga noch intensiver gewidmet. Die Intention ist, die Asanas (Positionen) so langsam wie möglich auszuführen, denn umso langsamer die Bewegung, desto besser die Wahrnehmung, was gerade im Körper passiert. Die langsame Ausführung fördert die Wahrnehmung, wie fühlt sich der Weg in die Position an, wie fühlt sich die Position an und wie fühlt sich der Weg aus der Position an? Wo sind die Grenzen im gegenwärtigen Moment? Welche Impulse kommen auf?
Traumasensibles Yoga soll dazu ermutigen, sich neu kennenzulernen, sich selbst den Raum zu halten, seine eigenen Impulse wahrzunehmen und diesen zu vertrauen und eine Möglichkeit zur Bewältigung von Stress und Ängsten bieten. Wer seine Grenzen spürt, kann seine Bedürfnisse, Wünsche und Impulse besser wahrnehmen. Deshalb steht nicht nur das Wahrnehmen der Grenzen, sondern auch Zentrierung im Fokus.
Ein wichtiger Schritt um sich mit den eigenen Traumata auseinanderzusetzen, ist mitfühlende Akzeptanz. Dieser Raum soll im Traumasensiblen Yoga geboten werden. Als unterrichtende Person steht dies im Vordergrund und dieser Raum soll gewahrt werden. Da einzelne Asanas viele Emotionen in Bewegung setzen können, werden TeilnehmerInnen stets motiviert Asanas auch vorzeitig zu verlassen oder Pausen zu nehmen, wenn sie diese brauchen. Zusätzlich soll die Matte als „Safe Space“ für die TeilnehmerInnen angesehen und daher soll der körperliche Kontakt mit den TeilnehmerInnen auf ein Minimum reduziert werden und auch dann nur, wenn im Vorfeld um Erlaubnis gefragt wurde.
Für wen ist nun Traumasensibles Yoga geeignet? Braucht es dafür eine Diagnose?
Traumasensibles Yoga ist für Jede und Jeden geeignet. Es braucht weder große Schicksalsschläge noch psychiatrische Diagnosen, um an einer solchen Stunde teilzunehmen. Auch wenn das viele Menschen ungern hören möchten, wir alle haben Schicksalsschläge erlebt, wir alle haben Situationen erlebt, die uns emotional überfordert haben. Traumasensibles Yoga empfängt alle Menschen unabhängig ihrer Geschichte und hält jeder Person den Raum, die sich danach sehnt.
Wichtig abschließend zu erwähnen: Traumasensilbes Yoga versteht sich als unterstützende Möglichkeit zur Aufarbeitung von Traumata und Lebenskrisen auf körperlicher Ebene. Jedoch ersetzt Traumasensibles Yoga keine psychologische/psychotherapeutische oder medizinische Behandlung.
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